Ich kann ein Pferd nie gegen seinen Willen behandeln

Die 54-jährige Bündnerin Stefania Dalla Torre arbeitet als Physiotherapeutin für Mensch und Tier. Dabei stellt die Pferdespezialistin mit eigener Praxis in Zürich erstaunlich wenig Unterschiede zwischen ihren Patienten fest. Dankbar sind alle, wenn es ihnen nach der Behandlung besser geht.

Interview: Barbara Lukesch
Erschienen in alpha plus Nr. 260, Samstag, 6. November 2021

Stefania Dalla Torre, Sie sind Physiotherapeutin für Mensch und Tier. Was war zuerst: der Zweibeiner oder der Vierbeiner?

Stefania Dalla Torre: Zuerst habe ich eine Ausbildung als Humanphysiotherapeutin gemacht und mich in dieses Fachgebiet reingekniet. Aber die Vierbeiner und da vor allem die Pferde, haben mich schon immer interessiert. Um mir die Arbeit besser vorstellen zu können, habe ich als Erstes einmal eine Tierärztin begleitet.

Sie sind eine leidenschaftliche Reiterin, teilen sich mit einer Freundin Ihre eigene Stute. Woher kommt diese grosse Liebe zum Pferd?

Die war immer schon da, obwohl ich aus einer Familie stamme, die überhaupt nicht besonders tierfreundlich ist. Mein Vater hatte Fleisch am allerliebsten auf dem Teller und rümpfte die Nase, wenn ich als Jugendliche vom Reiten nach Hause kam. Dann hiess es: Zieh dich in der Garage um! Du stinkst.

Diese Reaktionen haben Sie nicht stoppen können: 2001 haben Sie den ersten Schweizer Lehrgang zur Tierphysiotherapeutin absolviert: ein berufsbegleitendes zweijähriges Ausbildungsangebot. Wie vereinbaren Sie nun beide Disziplinen?

In der ersten Zeit meiner Tätigkeit als Humanphysiotherapeutin habe ich mir einen Stamm an Patienten aufgebaut, nach der Zusatzausbildung kamen die vierbeinigen Patienten dazu und dann dauerte es nicht lange, bis auch deren Besitzer, also Reiter und Reiterinnen mich konsultierten, wenn sie selber gesundheitliche Probleme hatten. Das ist für mich sehr spannend, aber auch hilfreich, weil ich auf dieser Basis das Bewegungsverhalten eines Rosses analysieren und es in Beziehung zu demjenigen des Reiters setzen kann.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Nehmen wir ein Tier, das grosse Taktungleichheiten im Schritt oder Trab zeigt und sich so versteift, dass es hinkt. Zwar nicht so schlimm, dass man den Tierarzt holen müsste, aber doch so stark, dass sein Gang deutlich beeinträchtigt ist und zu einer sogenannten Unrittigkeit führen kann. Immer wieder stelle ich bei meinen Besuchen im Stall fest, dass nicht die Tiere das Problem sind, sondern dass die Reiter nicht gerade, sondern krumm auf ihrem Pferd sitzen und damit dessen Verspannung verursachen.

Wie gehen Sie vor?

Ich schaue mir das Tier an und mache eine Ganganalyse. Dazu höre ich mir die Geschichte des Pferdes an: Wie lange ist es schon bei seinem Besitzer? Auf welcher Seite läuft es besser? Welche Gangart und welche Übungen machen Probleme? Kann der Besitzer gut reiten, ist die Behandlung für mich einfacher, weil ich dann eher davon ausgehen kann, dass nicht er mit seinem Verhalten die Unrittigkeit des Tieres verstärkt. Abschliessend erhebe ich einen Tast- und Beweglichkeitsbefund und beginne mit der Behandlung.

Wehren sich die Tiere nicht und wollen weglaufen?

Nein, die sind sehr offen und merken schnell, wenn ihnen etwas gut tut. Es kann schon passieren, dass ein Ross bei gewissen Berührungen Schmerzen empfindet und Unmut zeigt. Dann legt es die Ohren an und dreht den Kopf weg.

Mehr nicht?

Wenn ich in einem solchen Moment keine Rücksicht nehme und die Behandlungstechnik nicht ändere, wehrt sich ein Tier und schlägt, beisst oder steigt hoch. Seinem Naturell würde es eigentlich entsprechen auszuweichen, aber das ist ja im Stall nicht gut möglich. Also greift es gezwungenermassen an. Ich muss mir immer bewusst sein, dass ich ein Tier nie gegen seinen Willen behandeln kann.

Eine physiotherapeutische Behandlung eines Pferdes erfordert Fingerspitzengefühl

Die Triggerpunkt-Massage ist heute weitverbreitet in Physiotherapie-Praxen. Wenden Sie die auch bei Pferden an?

Ja, regelmässig. Erstaunlicherweise lassen sich die Tiere mit dieser Technik behandeln, obwohl sie – wie auch beim Menschen – recht schmerzhaft sein kann. Oft wende ich auch die sogenannte Faszien-Akupunktur an, die besonders wirksam ist und schneller Resultate zeigt.

Was ist der entscheidende Unterschied zwischen Ihrer Tätigkeit als Human- und der als Veterinärphysiotherapeutin?

Im Grunde gibt es keinen. Mit den Tieren können Sie nicht reden und sie vorwarnen, wenn etwas schmerzhafter werden könnte. Das muss doch Ihre Arbeit erschweren. 80 bis 90 Prozent der Kommunikation läuft auch mit Menschen nonverbal ab. Und ich kenne die Körpersprache der Pferde gut und halte mich an die Regeln, die ich ihnen gegenüber befolgen muss.

Welche sind das?

Ich darf zum Beispiel nicht einfach brüsk auf ein Tier zugehen oder mit flatternden Kleidern oder einem Blatt Papier vor ihm herumfuchteln. Ich muss es ansprechen,wenn ich im toten Winkel stehe und eine Intervention vorhabe und dann langsam und mit Bedacht in sein Gewebe hineinfassen. Ich rede sowieso die meiste Zeit mit ihm, weil es dann weiss, wo ich mich befinde. Ich lobe es auch, wenn es hinhält, obwohl ihm etwas weh macht und es ihm unwohl ist. Dauert eine Behandlung länger, frage ich es mit den Fingern, ob ich noch tiefer ins Gewebe eindringen darf. Wenn ich mehr Widerstand spüre, respektiere ich diese körperliche Antwort und mache eine Pause oder höre ganz auf.

Inwieweit haben sich Ihre beiden Physiotherapie-Disziplinen auch gegenseitig befruchtet?

Bei zahlreichen Behandlungsarten wie Lymphdrainage und Faszientechnik, aber gerade auch im Bereich der Kommunikation habe ich viel bei der Arbeit mit den Tieren gelernt.

Wer ist dankbarer, wenn eine Behandlung Wirkung zeigt: der Mensch oder das Tier?

Beide gleich. Nach einer Behandlung, die sie von ihren Schmerzen befreit und ihnen Entspannung bringt, kommen viele Pferde zu mir und stupfen mich mit den Nüstern. Oft sagen ihre Besitzer dann: Jetzt will er oder sie danke sagen.

Physiotherapie für Pferde. Stefania Dalla Torre kommuniziert mit dem Tier.

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Stefi Dalla Torre, Physiotherapeutin Physioterapie Unterstrass Zürich